Diesmal habe ich mit Lina Maria Pietras über ihr neues Buch gesprochen, wie sie ihre eigenen Werte definiert und auch andere Menschen dabei unterstützt und vieles mehr. Höre hier direkt in Folge 44 – Herzauge und Achtsamkeit rein.
Lina Maria Pietras hat am 16.04.24 ihr Buch “Herzauge” veröffentlicht. Kurz vor der Veröffentlichung habe ich mit ihr für Folge 44 gesprochen. Wir haben über ihren Lebensweg als Person, die in verschiedenen Kulturen aufgewachsen ist und eine sehr seltene Netzhauterkrankung hat, wodurch ihre Sehkraft langsam weniger geworden ist.
Sie hat mir erzählt, was ihr geholfen hat, immer wieder in ihre eigene Kraft zu kommen und wie sie es geschafft hat, sich immer wieder neu zu finden, nach ihren beiden Burn-outs. Es geht auch darum, wie sie jetzt andere Menschen unterstützt, ihre eigene Bestimmung zu finden und selbstbestimmt und empowered diesen Weg zu beschreiten. Auf jeden Fall mit Achtsamkeit und sehen aus dem Herzauge.
Ich wünsche dir viel Spaß und Freude beim Hören der Folge und dass du für dich einige Impulse mitnehmen kannst. Falls du nach dem Hören der Folge Interesse an dem Herzauge Buch und der Arbeit von Lina Maria Pietras hast, findest du hier unten alle Links dazu.
CN: Burn-out, Ableismus
Themen der Folge
- Die 3 Säulen, die Lina Marias Lebensweg beschreiben
- Was ihre Ziele mit Purpose Hub sind
- Tipps für achtsame Routinen im Alltag
- Prozess für die regelmäßige persönliche Reflexion
- Akzeptanz der eigenen Behinderung
- Wie ihr neue Technologien im Alltag helfen
- Über ihr Buch Herzauge
- Lina Marias Selbstfürsorge-Praxis
Möchtest du mehr über Inklusive Achtsamkeit erfahre und wie du mit mir üben kannst? Dann abonniere hier meinen Achtsamkeitsbrief.
Du kannst den Podcast auch gerne mit einem Ko-Fi unterstützen.
Hier kannst du dir direkt die Folge 44 anhören:
Oder du findest den Podcast überall, wo es Podcasts gibt. Schau dort einfach nach Inklusive Achtsamkeit – der Podcast und wähle dort Folge 44 Herzauge und Achtsamkeit – Interview mit Lina Maria Pietras aus.
Transkript der Folge 44
Dies ist das Transkript der Folge Folge 44 von Inklusive Achtsamkeit – der Podcast Herzauge und Achtsamkeit – Interview mit Lina Maria Pietras. Ich habe einige sprachliche Anpassungen vorgenommen, um es besser lesbar als Text zu machen und auch einige Zwischenüberschriften eingefügt, damit es besser verständlich wird und auch als Blog-Post lesbar ist.
Einleitung in die Folge
Mechthild [00:00:00]:
Hallo, herzlich willkommen zur Folge 44 von Inklusive Achtsamkeit – der Podcast. Ich freue mich, dass du wieder da bist, dass du vielleicht auch neu eingeschaltet hast in diese Folge mit Lina Maria Pietras. Ich freue mich total, dass sie Zeit hatte, da sie sehr viel beschäftigt ist mit ihrem Coaching und auch mit ihrem neuen Buch, das jetzt gerade letzte Woche erschienen ist, wenn ihr den Podcast ganz frisch direkt hört. Das heißt Herzauge und darüber sprechen wir auch in diesem Podcast.
Content Warnung: Burn-out, Ableismus
Noch mal ganz wichtig, ich sage es ja immer am Anfang, dass wir auch natürlich über oft über ernsthafte Themen sprechen ernste Themen. Diesmal geht es die Themen Burn-out und Ableismus, das heißt, wenn du merkst, okay das sind gerade Themen, die mir schwerfallen mich viel mit zu beschäftigen dann vielleicht lieber eine andere Folge hören. Ich habe ganz viele Folgen mittlerweile, ja 43 andere, die du hören kannst.
Hier findest du alle bisher erschienen Podcast-Folgen.
Viel Positives und viele Tipps
Aber natürlich ist auch in dieser Folge viel Positives und auch Tipps und Tricks, so für sich selber nochmal die eigenen Ziele zu reflektieren und die eigenen, die eigene Vision, wenn das auch eines von Lina Marias Zielen mit ihrer Arbeit und darüber sprechen wir. Deswegen hört ihr gerne diese Folge an und ich freue mich immer von dir zu hören, wie dir die Folge gefallen hat. In den Show Notes stehen auch noch mal alle Links zu dem Transkript und zu den Links zu Lina Maria und ihrem Buch. Also jetzt dann viel Spaß beim Hören dieser Podcast Folge.
Vorstellung von Lina Maria Pietras
Mechthild [00:01:35]:
Hallo liebe Lina Maria, schön, dass du in meinem Podcast zu Gast bist. Ich freue mich, dass du heute dir die Zeit genommen hast. Und ich fange immer so an, dass ich meine Gästin sich einmal selber vorstellen lasse, in deinen eigenen Worten, was du so über dich erzählen möchtest, was du so machst.
Drei Säulen, die sie beschreiben
Lina-Maria Pietras [00:01:59]:
Hallo, liebe Mechthild. Danke für die Einladung. Ich freue mich total, heute dabei zu sein. Deswegen gebe ich eigentlich genau diese Aufgabe immer ganz gerne ab, dass andere mich vorstellen, weil ich das relativ schwierig finde. Und gleichzeitig gibt es so drei Säulen oder drei Eckpunkte, die ich finde, mich immer ganz gut beschreiben.
Global Citizen by Nature
Zum einen spreche ich von mir immer ganz gerne vom Global Citizen by Nature, also ich bin eine Weltbürgerin. Das kommt natürlich daher, dass ich Deutsch-Brasilianerin bin. Also meine Mutter ist Brasilianerin, mein Papa Deutscher. Ich bin in Düsseldorf, hier in Deutschland geboren und dann recht früh als kleines Kind auch schon nach Brasilien und habe immer viel Zeit auch bei meinen Großeltern verbracht und bin dort in dieser Kultur aufgewachsen.
Lina-Maria Pietras [00:02:48]:
Gleichzeitig haben meine Eltern in einem sehr internationalen Umfeld gearbeitet, das heißt auch bei uns zu Hause waren alle Kulturen, alle Sprachen immer willkommen. Und ich habe ganz lange Zeit dafür gebraucht herauszufinden, wer bin ich denn eigentlich so im Sinne der Identität, die wir uns ja irgendwie dann doch immer suchen. Bin ich Deutsche, bin ich Brasilianerin, bin ich Europäerin?
Also allein auf der Ebene habe ich sehr viel Zeit verbracht. Irgendwann habe ich für mich selber festgestellt, warum muss ich es eigentlich durch Grenzen oder Zuschreibung eines Landes beantworten und habe dann für mich gesagt, im Grunde genommen, ich würde sagen, ich bin Weltbürgerin, denn ich fühle mich überall dort zu Hause, wo ich mich willkommen fühle, also wo ich das Gefühl habe, ich werde gesehen, wie ich bin, ich darf authentisch sein, ich darf so sein, wie ich bin, mit meinen Stärken, mit meinen Schwächen, mit meinen Glaubenssätzen und all den Geschichten und somit ist die Welt mein Zuhause und ich habe einfach mal alle Grenzen wegradiert und wenn es einen Weltbürgerpass gäbe, dann würde ich auf jeden Fall den annehmen.
Changemaker by Choice
Und die zweite Säule ist Changemaker by Choice. Denn Veränderung ist etwas, was mein ganzes Leben prägt. Also zum einen, wie ich schon berichtet habe, als kleines Kind immer zwischen zwei sehr unterschiedlichen Kulturen hin und her wandern, die unterschiedlich sind in Sprache, in wie man miteinander umgeht, in Empathie, in Emotion und sich immer wieder an diese Veränderung anpassen, ist etwas, was für mich einfach ganz natürlich gewesen ist als Kind.
Dann kommt ja dazu, dass als ich neun war, in meinem neunten Lebensjahr, wurde festgestellt, dass ich eine unheilbare und sehr seltene Netzhauterkrankung habe. Und diese Erkrankung ist progressiv und geht halt auch mit viel Veränderung einher und einer kontinuierlichen Ungewissheit. Ich bin seit 20 Jahren recht stabil bei knapp unter 4% Sehkraft und gleichzeitig kann es auch sich jederzeit verändern und diese Veränderung, die von Anfang an Teil meines Lebens wurde, habe ich dann auch meine Zeit lang versucht zu reduzieren und habe gedacht, jetzt mache ich alles andere, was ich quasi kontrollieren kann, mein Job, mein Lebensraum, meine Freundschaften, meine Beziehung so kontrollierbar und vorhersehbar, wie es sein kann.
Lina-Maria Pietras [00:05:17]:
Und dann habe ich aber festgestellt, dass mich das komplett unglücklich gemacht hat.
In dem Moment, wo ich gesagt habe, okay, Veränderung ist die Welle, die ich reiten will, habe ich gedacht, na gut, also selbst gewählt.
Disruptor by Destiny
Und die dritte Säule ist Disruptor by Destiny, weil, wie gesagt, wenn man ein bisschen anders denkt, wenn man über den Tellerrand hinausschaut, wenn man alles hinterfragt, denn ich bin ein sehr, sehr neugieriger Mensch und mache auch ganz gerne, ganz im Sinne der Pippi Langstrumpf, die Welt so, wie sie mir gefällt und gucke da ganz gerne mal aus der Unicorn oder Einhorn-Perspektive raus und dadurch bin ich natürlich sehr disruptiv.
Zu Beginn oder für lange Zeit meines Lebens dachte ich das wäre ein Makel und habe das immer versucht auch zu unterdrücken und so zurückzunehmen und dachte so, oh Lina, musst du denn immer eine Frage stellen? Musst du es denn immer anders machen? Und das Leben hat mich gelehrt, dass das einfach auch Teil meiner Natur ist, so wie die Veränderung. Und dann habe ich das auch angenommen und habe gesagt, okay ich bin wie ich bin und ich hinterfrage und manche Leute finden das spannend und angenehm und zahlen mir sogar Geld dafür, dass diese Fragen stelle und für manches ist auch einfach zu viel und auch das habe ich gelernt zu akzeptieren und deswegen Global Citizen bei Nature, Changemaker by Choice, Disruptor by Destiny sind die drei Säulen, wo ich mich immer ganz gut zusammenfassen kann.
Mechthild [00:06:45]:
Ja danke, das war auf jeden Fall schon viel und auch sehr professionell, mit den Sätzen, die dann dazugehören. Das inspiriert mich nochmal bei meinen eigenen Sätzen nachzudenken, was das sein wird.
Die Idee zu Purpose Hub
Genau, du hast auch schon eben gesagt, dass du jetzt auch Geld dafür bekommst, diese disruptiven Sachen auch mit anderen Menschen zu machen, weil deine Webseite und dein Programm heißt ja auch Purpose Hub, also das Ziel für sich zu finden, die Bestimmung, und da hilfst du ja anderen Menschen auch, ihre eigene Bestimmung zu finden. Und du hast vielleicht auch bei dir, die mit den drei Sätzen so deine Bestimmung auch definiert?
Lina-Maria Pietras [00:07:26]:
Genau. Purpose Hub, ein Name, der witzigerweise mir und meinem Mann gemeinsam in einem Brainstorming eingefallen ist, als ich mich in 2020 selbstständig gemacht habe und auch schon vorher für mich wusste, wenn ich mein eigenes Business, meine eigene Unternehmung starte, dann möchte ich es groß machen. Dann möchte ich es auch lösen von Lina Maria Coaching. Weil dann ist es wieder nur auf mich bezogen und ich wusste, ich möchte wirklich Veränderung. Ich möchte eine Veränderung in dem, wie Menschen sich selber sehen, wie sie ihr Potenzial bringen.
Ängste abbauen
Ich möchte aber auch in Unternehmen das Thema menschengerechte Führung und menschengerechte Organisation nach vorne bringen. Ängste abbauen und da ist es mir echt egal, ob es die Angst vor der Veränderung ist, ob es die Angst vor anderen Menschen ist, ob es die Angst vor neuen Technologien ist. Ich glaube, Angst ist nie ein guter Berater.
Lina-Maria Pietras [00:08:24]:
Und ich glaube, das, was uns hilft, vom Individuum übers Kollektiv, mit der Angst gut umzugehen oder beziehungsweise die Angst auch aus diesem diffusen Gefühl, was wir meistens ja irgendwo in der Bauch- oder Herzgegend haben, was wir nicht so richtig beschreien können, aber es hält uns zurück.
Klarheit über sich selber haben
Am besten können wir damit umgehen, wenn wir Klarheit über uns selber haben und dafür ist natürlich ein Begriff der Purpose, also was ist mein Sinn, was ist mein Zweck. Auch da klar wieder aus meiner eigenen Geschichte, denn neben allem, was ich in meiner Vorstellung schon über mich gesagt habe, kommt halt auch dazu, dass ich wirklich zweimal an dem Punkt in meinem Leben war, wo mir die Seele den Stecker gezogen hat, wo ich in Ohnmacht gefallen bin, wo ich ein Burnout hatte.
Und bei beiden Malen war es dem geschuldet, dass ich einfach nicht ehrlich zu mir selber war, dass ich angefangen habe, den Geschichten von anderen über mich zu glauben. Da bin ich nicht für mich selber eingestanden, dass ich, ich sage mal ganz liebevoll, ich bin so grau geworden und so ganz angepasst und das passt nicht zu einem Einhorn, was ja eher sparkelnd und spritzend durch die Gegend läuft.
Die Beziehung zu sich selbst
Ich habe damals, als ich Anfang 2018 angefangen habe, mich aus meinem zweiten Burnout rauszuarbeiten, mit einem großartigen Coach gearbeitet. Da habe ich für mich gelernt, mit vielen, auch anstrengenden Sessions ehrlich gesagt, dass die Beziehung, die längste Beziehung, die ich in meinem Leben habe, ist die Beziehung mit mir selber. Meine eigenen Werte einzustehen und meine eigenen Grenzen zu setzen und das Leben zu haben, was ich leben will, das kann ich nicht delegieren.
Ich kann andere Menschen dafür gewinnen, ich kann andere Leute dafür motivieren. Ich kann mit anderen Leuten in Kollaboration gehen, aber am Ende des Tages bin ich für mich selber verantwortlich. Und als ich das verstanden habe über mein eigenes Leben, habe ich natürlich auch angefangen, die Welt anders zu sehen. Und habe gesehen, an so vielen Stellen, wo wir Eigenverantwortung abgeben, wo uns das auch vorgelebt wird oder konditioniert wird, dass es eben jemand anderes für uns entscheiden kann oder die Gesellschaft für uns entscheidet oder irgendeine Regel und am Ende des Tages sind die Menschen immer alle unglücklich.
Sich selbst treu sein
Lina-Maria Pietras [00:10:47]:
Und die Menschen, die ich kennengelernt habe und kennenlernen durfte und auch darf, die so ihr Ding machen, die auch so richtig resilient sind, weißt du, die sich nicht aus der Ruhe bringen lassen und vom Weg abbringen lassen, nur weil die ganze Welt ihnen sagt, das macht man nicht so. Das sind die Menschen, die sich selber treu sind.
Und das habe ich dann gesagt, okay, das kann jeder, weil als Kinder sind wir das. Als kleine Kinder wissen wir ganz genau, wir haben Hunger, wir wollen schlafen, wir wollen jetzt spielen, auch wenn wir, und das wissen wir aus der Psychologie, als Kinder sehr narzisstisch sind und erstmal alles auf uns beziehen und das natürlich auch eine sehr vulnerable Zeit ist, weil wir dann auch das Verhalten unserer Eltern immer auf uns und unseren Selbstwert beziehen, aber das ist ein anderes Thema. Trotzdem sind wir erst mal recht befreit von Regeln und Konditionen. Wir unterscheiden nicht, ob jemand im Rollstuhl sitzt, ob jemand von einer anderen Kultur ist, eine andere Religion, das ist uns egal als Kinder. Als Kinder sehen wir den Menschen und wir verlernen das über die Zeit und wir werden blind dafür. Und das kann man aber wieder lernen.
Die Blindspot-Coaching-Methode
Lina-Maria Pietras [00:11:57]:
Und deswegen habe ich eben innerhalb von Purpose Hub auch meine eigene Methode, die Blindspot-Coaching-Methode entwickelt, wo es einfach darum geht, Menschen zu motivieren und sagen, guck doch mal dahin, wo du vielleicht selber blind für geworden bist. Das kann ein Talent sein, das kann irgendwas sein, was einem Spaß macht, das kann dieses richtig authentische Selbst sein. Und das mache ich mit Purpose Hub, sowohl mit Individuen, also mit dem einzelnen Menschen.
Ich habe halt auch Klienten, die sagen, okay, ich möchte das einfach für mich, ich möchte mich verändern. Die denken, ich habe das Gefühl, ich werde fremdgesteuert, ich habe das Gefühl, ich sitze auf dem Beifahrersitz, das Gefühl, eigentlich kann ich mehr und hier kann ich es nicht.
Ich helfe ihnen dann das Herzauge wieder zu öffnen und mal hinzugucken und sagen, wer sagt das denn? Wer sagt denn, dass du das nicht kannst? Oder wer sagt denn, dass du es kannst und was willst du? Und das kannst du natürlich mit dem Einzelnen machen.
Veränderungen in Unternehmen
Lina-Maria Pietras [00:13:17]:
Da hört es für mich aber nicht auf und deswegen ist für mich genauso spannend einfach mit dem System zu arbeiten. Also mit ganzen Unternehmungen, weil auch da Unternehmenskulturen sind, diese Regelwerke. Und es gibt explizite, wie den Code of Conduct (Verhaltenskodex), die Vision, die Werte. Also es gibt Sachen, die kann man lesen, aber im Grunde genommen, wie die gelebt werden, wie die interpretiert sind.
Das sind dann wieder die Menschen untereinander und das Zusammenarbeiten. Und auch da wird so viel angenommen und so wenig hinterfragt und der Dialog ist so wichtig und das mache ich mit Purpose Hub. Also ich befähige die Menschen, idealerweise ist das zumindest mein Ziel, dass sie in einen besseren Dialog mit sich selber treten können und ehrlich zu sich selber sein können und dass sie dann Eigenverantwortung für ihre eigenen Werte und Grenzen und auch Träume und Ziele übernehmen können und gleichzeitig diese auch zu kommunizieren.
Dies ist für jede Person anders
Also ich in meiner kleinen Welt, aber dann auch ich mit meiner Welt und das ist für jeden unterschiedlich. Da ist jeder anders. Da wird jeder anders getrieben. Ich meine, wir haben über acht Milliarden Gehirne auf dieser Welt und nicht nur im Sinne der Neurodiversität, sondern im Sinne wirklich, dass jeder Mensch anders geprägt ist.
Also jedes Kind entwickelt zwischen dem dritten und siebten Lebensjahr, nach Adler, einem Psychologen, das ist am Anfang des letzten Jahrhunderts, entwickelt seine private Realität. Das heißt, zwischen dem dritten und siebten Lebensjahr bist du ein Schwamm und du nimmst auf, wie deine Eltern Beziehungen wahrnehmen, wie sie Beziehungen führen, Geld, Schönheit, alle diese ganzen Geschichten und dann baust du dir deine Realität und damit begibst du dich dann in die Welt und dann gleichst du es immer dagegen ab und es ist am Ende trotzdem immer noch nicht deiner.
Den eigenen Wachstumsprozess erfahren
Lina-Maria Pietras [00:14:43]:
Dieser Wachstumsprozess, dieses was ist denn meine Realität, wie möchte ich leben, wie möchte ich die Welt nehmen und wahrnehmen, das ist ein Prozess, durch den ich gegangen bin, den ich zweimal gehen musste, weil ich es beim ersten Mal nicht gelernt habe nach meinem ersten Burnout, sondern wieder Muster wiederholt habe und auch heute immer noch daran arbeite. Ich falle auch heute noch in alte Muster zurück und habe großartige Menschen an meiner Seite, die dann so mutig sind und mir da den Spiegel vorhalten.
Ich habe tolle Coaches, mit denen ich zusammenarbeite und weiß und habe auch für mich akzeptiert, das ist Life-Long Learning (Lebens-Langes-Lernen) und das kann man. Und man kann dadurch ein wirklich entspannteres und mit sich im reinen Leben und resilienteres Leben entwickeln. Und das ist meine Mission, also Menschen dafür zu inspirieren und ihnen zu helfen, das Potenzial zu entfalten, genau so zu sein.
Der Prozess geht immer weiter
Mechthild [00:15:38]:
Ja, sehr spannend. Ja, und das heißt, mit dem Prozess, dass es ja immer auch weiter geht, selbst wenn wir merken, okay, jetzt gerade das habe ich irgendwie für mich verstanden, aber dann gibt es wieder neue Situationen wo wieder noch mal gleich getestet werden, ob wir jetzt wirklich uns verändert haben oder nicht.
Lina-Maria Pietras [00:16:01]:
Meine coach sagt immer next level, next level (nächstes Level, nächstes Level). Und wenn wir zurück in Muster fallen, sagt mein Mann immer the Devil you know (den Teufel, den du kennst). Wir fallen natürlich in Stresssituationen oder in unsicheren Situationen meistens genau in die Verhaltensmuster zurück, die wir gewohnt sind. Aus den verrücktesten Gründen, die uns aber als Kinder Sicherheit gegeben haben. Das sind nicht immer die förderlichsten Verhaltensmuster. Da ein Bewusstsein für zu haben und das zu sehen und das auch aushalten zu können und sich dann selber zu vertrauen, das ist eine Entscheidung, die wir ehrlicherweise jeden Tag für uns treffen müssen.
Die bewusste Entscheidung treffen, bei sich selbst zu bleiben
Und ich verwende ungern das Wort müssen, aber im Grunde genommen ist es das. Jeden Menschen, den ich kenne, den ich kennenlernen durfte, persönlich oder durch die eigenen Biografien oder Werke oder Talks.
Die Menschen, die mit sich selbst im Reinen sind, die sich selber treu bleiben, entscheiden sich jeden Morgen wieder für die eigenen Werte, für den Weg, den sie eingeschränkt haben. Dieses Bewusstsein, diese Achtsamkeit auch von dem, wie ich in meinem Leben leben will, das ist eine Lebensaufgabe. Und das ist mir auch immer wichtig zu sagen, das kann mit ganz viel Leichtigkeit gehen, das kann man sich auch erleichtern durch Routinen, durch Gewohnheiten, durch gewisse Anker oder auch in dem Moment durch ein Netzwerk, was man sich aufbaut von Freunden, von Partnern, von Coaches.
Lina-Maria Pietras [00:17:40]:
Und gleichzeitig ist dieses Sich-Dafür-Entscheiden etwas, was wir immer wieder machen. Weil in dem Moment, wo wir da unaufmerksam werden und wo wir denken, läuft schon, es ist kein Automatismus. Automatismus sind die Prägungen, die wir von ganz, ganz früh haben und die meistens relativ wenig mit unserem eigentlichen und eigenen Purpose zu tun haben.
Tipps für die achtsamen Routinen im Alltag
Mechthild [00:18:04]:
Ja, und gerade wenn wir Stress haben, dann fallen wir da natürlich auch leicht wieder rein. Und was wären dann so konkret vielleicht ein, zwei Tipps, die du geben kannst, für diese Routinen oder diese Anker?
Am morgen meditieren
Lina-Maria Pietras [00:18:15]:
Zwei Dinge, die mir sehr dabei helfen ist, das erste ist, dass ich wirklich morgens meditiere und ich gucke, dass ich immer mindestens 20 Minuten meditiere, idealerweise 30. Ich arbeite da mit der App Inside Timer zusammen, da gibt es aber tausend andere.
Und ich entscheide mich immer sehr bewusst für entweder Dankbarkeit oder innere Stärke, also für irgendeinen Moment, wo ich diese Konnektivität zu mir selber, wo ich einmal sage, okay, wie kriege ich mich mit mir selber in Verbindung, weil vielleicht habe ich mich über die Nacht verloren, vielleicht hatte ich abends noch ein blödes Gespräch, vielleicht hatte ich einen dummen Traum, und einmal dieses, okay, me, myself and I.
Also das ist etwas, was ich weiß, wenn ich das nicht ernst nehme, wenn ich mich da nicht selber ernst nehme als erwachsene Frau, als Mensch, dann fällt es mir schwerer resilient zu sein und bei mir zu sein. Das ist das Erste. Das kann für jeden was anderes sein. Also ich hatte auch eine Zeit lang, da bin ich morgens dann immer laufen gegangen, super früh. Das ist für andere Menschen die Routine, sich einen Tee oder einen Kaffee zu kochen. Irgendetwas, wo man es nur für sich selber macht, morgens. Das ist so wichtig, sich selbst aufzuwecken und nicht in dieses fremdbestimmte automatische Handeln zu kommen.
Zeit für die persönliche Reflexion nehmen
Lina-Maria Pietras [00:19:35]:
Das Zweite, was ich mache, ist, alle drei Monate wirklich zu gucken, mir einen halben Tag zu nehmen, wo ich ein Me, Myself and I Meeting habe. Also ich setze mich mit mir selber zusammen und da gucke ich, bin ich, also ich gucke einmal nach hinten, ich gucke einmal nach vorne, ich gucke, sag mal, bin ich gerade eigentlich noch auf dem richtigen Weg, weil wir verlieren uns doch mittendrin.
Wenn wir im Alltag sind, dann sind es, egal ob wir selbstständig sind oder angestellt, egal ob wir eine Familie haben oder Single sind, ob wir Tiere haben oder keine, ständig zerrt irgendetwas an uns. Es ist die Steuererklärung, es ist die Rechnung, die bezahlt wird, es ist die Rechnung, die geschrieben werden soll, es ist das Projekt, was abgeliefert werden soll, es ist das Geburtstagsgeschenk, was organisiert werden soll, es ist der Urlaub, der geplant wird. Es ist ja irgendwie immer was. Und da ist es, selbst wenn man sich jeden Tag wieder bewusst macht, ist es wirklich auch ganz natürlich, dass man den Blick auf seine eigenen Ziele und seine eigene Vision verliert. Und das ist überhaupt nicht schlimm, weil das passiert. Das ist natürlich.
Wie sieht meine Zukunft aus?
Lina-Maria Pietras [00:20:51]:
Und desto empathischer wir sind und desto mehr wir es auch mögen, im Kollektiv zu sein und auch andere Leute glücklich zu machen und zu sehen und in einer Gruppe zu sein, desto schneller passiert es und sich dann die Zeit zu nehmen und sich wirklich dann einmal zu priorisieren und zu sagen, jetzt bin ich mal ganz kurz wichtig. Was ist eigentlich das, was ich erreichen möchte?
Die eigenen Werte kennen
Damit meine ich gar nicht mein Gehalt oder meine Karriereposition oder meinen Umsatz oder meinen Gewinn oder meine Familie, egal. Sondern was ist das, wenn ich nach vorne gucke und mir meine Zukunft male, was möchte ich dann eigentlich, wofür möchte ich gesehen werden und was sind auch meine Werte. Und das Thema der Werte, das finde ich ganz, ganz wichtig, denn Werte und unsere Kernwerte bilden das Wertenetz.
Ich spreche immer vom Wertenetz und das kannst du dir vorstellen wie ein Fischernetz. Und jeder Wert, den wir haben, der ist ein Knoten in diesem Fischernetz. Und wenn wir dann so durch unseren Alltag, durch unsere Beziehung, durch unsere Verpflichtung, durch unsere Freude, durch alles, durch siften und durch fischen, dann ist alles das, was Werte-konform ist, das, was durch das Netz durchflutscht, weil es ist Werte-konform.
Wo gibt es einen Wertekonflikt?
Lina-Maria Pietras [00:22:09]:
Das, was hängen bleibt und diesen Widerstand, was uns ganz viel Energie kostet, das sind Dinge, wo wir einen Wertekonflikt haben. Das heißt, an der Stelle haben wir uns vielleicht in ein Projekt, in eine Situation, in eine Gruppe, in eine Beziehung, worin auch immer, in eine Verpflichtung reinlegen lassen, in ein Ehrenamt gebracht, was wir glauben, müssten wir machen. Weil wir denken, es wird von uns erwartet oder das gehört sich so, oder was auch immer.
Aber es ist im Widerspruch zu unseren Werten. Und das kostet uns richtig viel Energie. Und das ist richtig anstrengend. Dadurch, dass wir glauben, das muss man so machen und das gehört sich doch so oder, das ist doch der nächste logische Schritt. Wir erzählen uns ja als Erwachsene alle diese Geschichten. Verschwenden wir einfach richtig viel Energie und etwas, was nicht Werte-konform ist, wird nie Werte-konform.
Alle drei Monate diesen Check-in machen
Lina-Maria Pietras [00:23:01]:
Das heißt, sich da die Zeit zu nehmen und wirklich Menschen zu fragen, was in den letzten drei Monaten war, deswegen sage ich alle drei Monate, man kann es auch einmal im Monat machen, aber realistisch ist vor allen Dingen, wenn man auch sehr aktiv im Berufsleben ist und auch Familie hat oder andere Verpflichtungen als alle drei Monate und dann zu sagen, was ist in den letzten drei Monaten hängen geblieben, was hat mich richtig viel Energie gekostet.
Dann mal wirklich neugierig darauf zu gucken, was ist das und warum mache ich das und gehört mir das eigentlich? Will ich das oder glaube ich, ich muss es machen? Und dann auch die Konsequenz einzugehen und den nächsten Schritt zu gehen und dann zu gucken, kann ich es verändern, kann ich meine Position da drin verändern, kann ich meine Verpflichtungen nachverhandeln?
Ist das ein Projekt, zu dem ich zu schnell ja gesagt habe? Und ist das in dem Umfang, in dem es mich jetzt einnimmt, eigentlich wirklich was, was zu mir passt oder nicht?
Verantwortung für sich selber übernehmen
Und dann wieder Verantwortung für sich selber übernehmen und hinzugehen und zu sagen, hey, in meiner Realität, ich habe zwar ja gesagt, aber ehrlicherweise, wenn ich jetzt zurückgucke, das war zu vorschnell oder ich kann das nicht oder ich möchte es nicht oder das überschreitet eine Grenze von mir und das ist hart.
Das ist immer hart, weil in dem Moment, und das ist das krass, in dem Moment, wo wir uns für uns entscheiden, entscheiden wir uns immer gegen jemand anderes. In dem Moment, wo wir sagen, mir ist das wichtig, stoßen wir irgendjemandem vor den Kopf, weil für die andere Person wäre es vielleicht das Wichtigste gewesen, dass wir mit in dem Projekt sind.
Punkt der maximalen Instabilität
Dass wir eine Zusage, die wir gemacht haben, genau in der Form einhalten und in dem Moment, wo wir sagen, ich entscheide mich jetzt für mich, weil ich mich für mich entscheiden will, nicht, weil ich mich gegen dich entscheiden will, aber gleichzeitig entscheide ich mich dadurch gegen das, was wir vereinbart haben. Das ist einfach der, ich glaube, der Punkt, der maximalen Instabilität in jedem Moment, weil natürlich kann die andere Person dann sauer werden, traurig sein, enttäuscht sein, es kann ein Konflikt entstehen, es kann sogar dazu führen, dass dadurch sich eben diese Chance, dieses Fenster wieder schließt.
Und es ist ein Risiko. Wir gehen dann immer ein Risiko ein. Das gehört dazu und ich finde es wichtig und plädiere auch dafür, dass wir immer wieder dieses Risiko eingehen, für uns selber zu stehen und gleichzeitig ist es mir wichtig auch zu sagen, jo, das ist auch hart. Und es gibt, manchmal führt es auch dazu, dass sich dann Dinge in unserem Leben verändern.
Lina-Maria Pietras [00:25:42]:
Und vor allem Ding, wenn wir oft, ganz klassisch, so ein Ja-Sager waren und dann auf einmal anfangen Nein zu sagen oder zu sagen, das passt jetzt gerade für mich nicht oder ich möchte ehrlicherweise nicht mehr dafür gesehen werden, also wir ziehen uns irgendwo raus, dann reagiert meistens leider das Umfeld mit einer verschnupften Nase. Das muss man aushalten.
Das eigene Warum kennen
Und dafür ist wieder diese Resilienz, dieses warum mache ich das, weil ich mir selber treu bin. Warum mache ich das? Weil ich so ein Leben haben will. Warum mache ich das? Weil ich glaube, das ist mein Warum. Da sind wir beim Purpose, da sind wir bei dem Why. Was Simon Sinek, ja, auch sagt, the why, the how, the what. (das Warum, das Wie, das Was).
Dann sind wir wieder da, warum mache ich das?
Nicht warten, was andere sagen
Und deswegen ist es so wichtig, dass man nicht wartet und dass man nicht sagt, na ja, ich mache das, weil das macht man so oder weil ich ja das und das studiert habe oder weil mir gesagt wird, ich kann beispielsweise in meinem Fall, also was Menschen alles glaubten und mir gesagt hatten, was ich kann oder auch nicht kann mit 4 % Restsehfähigkeit, ist unglaublich. Ich habe lange Zeit darauf gehört und habe denen geglaubt, und habe denen geglaubt, was sie gesagt haben, was ich kann oder was ich nicht kann.
Nach meinem ersten Burnout war das, glaube ich, der wichtigste Weg, war zu wieder herausgehen und zu sagen, okay, guck dir jetzt mal jede Geschichte und jede Regel, die du angenommen hast, an und guck dir, gehört dir das selber?
Wir sehen bei anderen nur das Ergebnis
Und ja, Wir erben da so viel und wir machen halt so viel nach und dann sehen wir jemanden, der oder die erfolgreicher ist. Wir sehen ja immer nur das Ergebnis.
Lina-Maria Pietras [00:27:24]:
Was wir auf LinkedIn posten, auf Instagram posten, in einem Podcast, in einem Buch schreiben und auf einer Bühne erzählen, beim Kaffeetrinken erzählen. Wir sehen immer nur das Ergebnis. In den wenigsten Fällen sprechen die Leute über den Weg. Und der ist immer holprig. Immer. Es gibt keinen glatten Weg.
Es fühlt sich oft langsam an
Mechthild [00:27:43]:
Oder dass man selber denkt, der eigene Weg ist viel langsamer und von außen sagen Leute, oh wow, du hast schon in so kurzer Zeit so viel erreicht.
Lina-Maria Pietras [00:27:51]:
Oh ja, da bin ich ja Expertin drin.
Mechthild [00:27:53]:
Das fühlt sich so langsam an.
Lina-Maria Pietras [00:27:57]:
Ich sage auch immer, oh mein Gott, da ist noch so viel. Und da sind so viele Chancen, die ich noch nicht wahrgenommen habe. Von außen sagen Leute, guck doch mal bitte auf das, was du alles schon erreicht hast. Ich hoffe, dass ich es in diesem Jahrzehnt löse. Jetzt bin ich 41. Ich hoffe, dass ich es, bis ich 50 bin gelöst habe, weil es ist wirklich anstrengend. Meistens gucke ich auch immer eher darauf hin, was ich alles noch nicht geschafft habe, als darauf zu gucken, was ich geschafft habe. Und wie du gesagt hast, das ist nicht einfach, kostet uns das richtig viel Energie. Und das ist ja wieder, müssen wir auch wieder zu uns selber gucken. Was sind denn meine Erwartungen an mich? Warum glaube ich denn, dass es langsam geht?
Und das ist ja das Witzige. Woher nehme ich denn eigentlich die Annahme, dass es schneller geht?
Außen und Innen
Mechthild [00:28:42]:
Auch wieder, weil man es von außen gesehen hat, irgendwo bei anderen Leuten.
Lina-Maria Pietras [00:28:46]:
Genau, weil dann haben wir jemand anders gesehen, der uns ähnlich ist, glauben wir zumindest von wie die Person sich darstellt, ja also auch die Fremdvernehmung und dann sagen wir, ah nee, aber er oder sie ist viel schneller, die schaffen ja viel mehr. Also wenn die das schaffen und eigentlich sind wir gar nicht so unterschiedlich und ich habe es noch nicht geschafft, dann mache ich irgendwas frei, dann kann ich noch irgendwo was optimieren. Dieser Wahn nach Optimierung ist er auch. Aber wie gesagt, I have to drink my own Kool-Aid (wörtliche Übersetzung: Ich muss mein eigenes Kool-Aid trinken, gemeinte Bedeutung: Ich muss meinem eigenen Rat folgen), wie man so schön an der Stelle sagt. Da, das ist auch so tief in mir drin.
Zurückschauen, auf was wir erreicht haben
Mechthild [00:29:20]:
Ja und wie du sagst, auch immer ein Prozess. Und wenn man alle drei Monate diese Reflexion macht, kann man sich auch nochmal aufschreiben, was du in den drei Monaten erreicht hast, weil es hilft dir dann auch immer wieder, auch auf längere Sicht zurückzugucken, wie viel man doch in drei Monaten schon erreicht hat, selbst wenn es sich selber klein anfühlt.
Die Vision anschauen
Lina-Maria Pietras [00:29:41]:
Genau, und das ist so ein wichtiger Punkt. Also wenn man sich so diese drei Stunden, die ich empfehle, die man für sich nimmt, anguckt, dann sage ich immer, fang erst mal mit der Vision an. Guck einfach mal, wenn du heute in dich reinfühlst, mit all dem, was du auch gelernt hast. Ja, weil unser Zielbild verändert sich ja auch ein bisschen, weil wir uns immer weiterentwickeln, weil dann lernen wir eine neue Fähigkeit.
Wir haben uns mit jemandem unterhalten, der uns einen Weg aufgezeigt hat, wo wir dachten so, ach so einfach, hätte ich gar nicht gedacht. Und dann zu gucken, okay, was ist denn jetzt für mich möglich? Also wie verändert sich dann vielleicht auch was in meinem Zielbild, in meiner Vision?
Vielleicht ist da etwas, was ich eigentlich so in mir schon immer wollte, erreichen wollte, aber ich habe mich nie getraut, mir das selber zu sagen, weil, ach Quatsch, das schaffst du doch nie oder das kannst du gar nicht machen oder in meinem Fall hatte ich das auch lange gesagt, mit deiner Behinderung wirst du das und das nicht tun können. Ja und das muss ja nicht immer mit einer Behinderung zu tun haben, das kann mit dem Gender zu tun haben, das kann mit allem zu tun haben. Und dann hast du aber jemanden getroffen und dann hat die Person dich inspiriert und denkst dir so, interessant, so habe ich das noch nie gesehen.
In der ersten Stunde schauen, was ist mein Warum
Lina-Maria Pietras [00:30:55]:
Das heißt wirklich in der ersten Stunde sagen, nochmal sich dran zu erinnern, was eigentlich mein Warum? Was will ich? Wann war ich erfolgreich? Wie wäre es, wenn ich schön wäre? Was für ein Leben möchte ich haben?
In der zweiten Stunde schauen, was habe ich erreicht
Und dann in der zweiten Stunde einmal zu gucken, jetzt gucke ich mal auf die letzten drei Monate, was hat denn alles darauf eingezahlt und da, weißt du, ich denke, wir machen das mit uns ganz alleine, da dürfen wir ehrlich zu uns sein, da müssen wir uns auch nicht anlügen und uns auch das nicht schönreden, denn am Ende des Tages sind wir, ja sind wir da mit uns und unseren inneren Anteilen alleine. Und trotzdem redet man sich dann Sachen schön oder schlecht oder so, kennen wir ja. Aber da wirklich mal in diesen drei Stunden ehrlich zu sich zu sein.
Dann fällt automatisch das raus, auch mit dem Wertenetz, dann fällt automatisch das raus, wo du sagst, krass, also irgendwie hat das zwei Wochen in den letzten drei Monaten eingenommen, aber a) hat es mich richtig viel Energie gekostet, b) zahlt es überhaupt nicht auf meine große Vision ein, auf meinen Purpose ein und c) ist es auch, ehrlicherweise, keine Ahnung, ich weiß gar nicht, wie ich da hereingekommen bin.
In der letzten Stunde schauen, was ich möchte
Und wenn du diese, wenn du einmal gesagt hast, wer bin ich und wenn ja wie viele, ja was möchte ich eigentlich, was sind meine Werte dieses und was habe ich vielleicht gelernt, wie verändert sich jetzt meine Vision, dann zu gucken, wie waren denn meine letzten drei Monate und dann in der letzten Stunde zu gucken, was möchte ich?
Das ziehe ich immer ganz gerne aus Scrum, also aus der Scrum-Methode, die machen immer so am Ende, wenn sie ihre Retrospektiven machen, haben die vier Quadranten.
- Was möchte ich anfangen zu tun?
- Was möchte ich mehr tun?
- Was möchte ich aufhören zu tun
- Was möchte ich weniger tun?
Und ehrlicherweise genau das für sich selber auch anfangen.
Was möchte ich von dem, was ich gemacht habe in den letzten Jahren, was möchte ich davon mehr tun? Was möchte ich anfangen zu tun, weil ich tue es noch gar nicht und ehrlicherweise möchte ich es aber tun, weil es zahlt auf mein Ziel, auf mein Purpose ein. Und was möchte ich aufhören zu tun? Also wo möchte ich wirklich mal eine Grenze ziehen und sagen nein? Und was möchte ich weniger tun? Das hilft mir sehr. Und es ist eine Methodik und man kann es immer mal wieder holen.
Gnädig zu sich selber sein
Lina-Maria Pietras [00:33:15]:
Und das Wichtigste ist wirklich in der Zeit, mit sich selber gnädig zu sein und zu sagen, hey, ich gebe mir jetzt selber mal den Raum und ich bin da mal ehrlich zu mir und ich fange nicht an, mich auszuschimpfen. Das musste ich auch erst mal lernen. Ich bin bis heute noch so streng zu mir selber und habe so hohe Erwartungshalten an mich selber.
Da bin ich nicht die Einzige, da kenne ich ganz viele, die diesen Super-Women-Komplex haben. Und desto mehr Herausforderungen du in deinem Leben hast und relativ früh auch hattest und die du dann auch, und das ist so ein bisschen die Krux daran, die du dann auch überwunden hast, beziehungsweise wo du dran gewachsen bist, dann denkst du, okay, nächste Herausforderung, daran muss ich aufwachsen, wir geben uns nicht mehr den Raum wirklich auch zu sagen, ja und dann wieder neu anfangen.
Jeden Morgen neu anfangen
Dieses Mindset von Begin again (Neuanfangen), was ich versuche jeden Morgen zu machen. Ich versuche jeden Morgen zu sagen, okay und heute ist wieder ein Tag, an dem ich mich für mich entscheide, für meine Ziele entscheide, wo auch ich wieder Sachen anfangen kann zu tun, die ich immer noch nicht gemacht habe, mehr machen kann, aufhören kann und so. Das können wir jeden Tag und sich jeden Tag dieser Entscheidung bewusst machen.
Lina-Maria Pietras [00:34:23]:
Das bringt einem eine Gelassenheit.
Akzeptanz der Behinderung
Mechthild [00:34:26]:
Ja, danke. Das war auf jeden Fall schon sehr viel an Input und Tipps, die wir vielleicht auch mal dann nutzen können, für unseren Alltag und die Gelassenheit für uns selber finden. Du hast ja schon ein paar mal auch deine Behinderung angesprochen. Da würde mich auch interessieren, wie das auch immer der Prozess der Akzeptanz der Behinderung in deinem Leben war und wie das jetzt in deinem Alltag und in deinem Berufsleben ist mit Leben mit Behinderung, wie das ein Thema ist oder ob das auch vielleicht kein Thema ist. In manchen Situationen, was ja auch schön wäre, war meistens ja doch irgendwie immer ein Thema.
Man sieht nur mit dem Herzen gut
Lina-Maria Pietras [00:35:04]:
Ja, das ist eine ganz spannende Frage. Wie ich zu Beginn gesagt habe, war ich neun, als die progressive Zöpfe- und Stäbchendystrophie bei mir festgestellt wurde. Und das Schöne ist, das verstehe ich heute auch aus der neurowissenschaftlichen Perspektive. Damals war meine Amygdala, also mein Angstzentrum, noch nicht ausgebildet. Und meine Eltern haben etwas sehr richtig gemacht. Sie haben mir von Anfang an, hat meine Mutter gesagt, Behinderung ist keine Verhinderung. Sie hat gesagt, ich soll daran denken, was der Fuchs dem kleinen Prinzen gesagt hat: “Man sieht nur mit dem Herzen richtig gut, das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.”
Einfach weiter mitmachen
Lina-Maria Pietras [00:35:39]:
Sie haben meinen Geschwistern gesagt, das ist jetzt bei Lina festgestellt worden und wir werden jetzt bunte Gläser kaufen. Also da hatte ich noch 40 Prozent Restsehfähigkeit, also vorher nie festgestellt. Aber das war es. Weißt du, meine Mutter hat mich gefragt, möchtest du mit deinen Freunden weiter zur Schule gehen oder möchtest du auf eine Schule gehen, die ausgerichtet ist für Menschen, die weniger sehen können. Weil es dann darum ging, aufs Gymnasium zu gehen. Und wenn du das eine Neunjährige fragst, dann sagt sie, na klar will ich bei meinen Freunden bleiben. Und in meinem Leben hat sich ja durch die Diagnose überhaupt nichts verändert. Ich habe ja vorher auch wie ein Wildfang die Bäume hochgeklettert, runtergeklettert, mit dem Fahrrad gefahren.
Den eigenen Weg finden
Lina-Maria Pietras [00:36:17]:
Ich habe ja nichts nicht gemacht. Ich habe mich auch nicht irgendwie verletzt oder bin irgendwo gegen gelaufen, sondern die Mitarbeiterin meiner Mutter hatte das festgestellt, weil ich einen Kalender nicht sehen konnte und dann die ganze Diagnosemaschinerie angelaufen. Und weil das eben so selten ist, gab es das halt auch. Meine Geschwister haben es nicht, meine Eltern haben es nicht, meine Großeltern nicht, meine Cousinen so und so. Also es liegt halt sehr, sehr weit zurück irgendwo.
Und dadurch, dass aber meine Eltern und vor allem meine Mutter ehrlicherweise immer nur gesagt hat, okay, dann finde deinen Weg. Wenn du, egal was du werden willst, egal auf welche Schule du gehen willst, meine Eltern haben mich immer sehr bestärkt darin. Manchmal zum Leidwesen von Ihnen, weil heute würden Sie sich wünschen, dass ich eine Blindenbinde tragen würde und einen Blindenstock haben würde, was ich nicht habe, weil ich brauche es noch nicht.
Die Veränderung der eigenen Behinderung
Lina-Maria Pietras [00:37:10]:
Also ich komme sehr gut ohne, klar. Meine Eltern sagen, ja, das würde den anderen das leichter machen zu verstehen, warum du an denen vorbeiläufst oder fragst. Da sage ich so, ja man kann mich ja fragen, ich glaube halt wirklich an Dialog und Kommunikation. So und dadurch, dass sich nichts in meinem Leben verändert hat, habe ich ja aber auch nicht verstanden, dass die Welt der Sehenden komplett andere ist als meine.
Und ich bin halt als einzige Nichtsehende unter den Sehenden aufgewachsen und das ist dann relativ schnell auch auf 16 Prozent runter und dann 2002 waren es dann eben nur noch, also innerhalb von zehn Jahren dann runter auf die knapp 4 Prozent mit Kontaktlinsen und 0,8 Prozent ohne Kontaktlinsen. Und in dieser gesamten Zeit hab ich aber gedacht, okay, ich will ja trotzdem dazugehören. Ich will ja normal sein, weil ich hab mich nur mit Sehenden verglichen. Die Akzeptanz kam viel, viel später.
Von der Behinderung ablenken
Lina-Maria Pietras [00:38:03]:
Erstmal bin ich dann rebellisch geworden, bin aufmüpfig geworden, war in Gangs und also ich habe einfach alles davon gemacht, davon abzulenken, dass ich eine Behinderung habe. Und zwar nicht, es war keine bewusste Entscheidung, oh ich habe eine Behinderung, ich muss davon ablenken, sondern es war so, okay, irgendwie anders möchte ich dazugehören und zugehörig sein. Und das hat dann irgendwann dazu geführt, dass mir auch keiner mehr geglaubt hat und das war auch eine sehr schmerzhafte Empfindung.
Dann habe ich auch verstanden, das war dann 2000, und dann haben wir auch verstanden, okay, ich muss auch darüber reden, welche Hilfe ich brauche, weil keiner kann in meinen Kopf oder durch meine Augen gucken.
Überkompensation
Und dann hat die zweite Phase, sage ich immer ganz liebevoll, angefangen und da bin ich in die maximale Überkompensation gegangen. Da habe ich das dann angenommen, da habe ich meine, da habe ich, ja Akzeptanz würde ich nicht sagen, ich habe einfach dann angenommen und habe gesagt, okay, ich verstecke nicht mehr, das ist zu wenig sehen, das ist auch relativ schwierig, sondern ich, ich kommuniziere das jetzt auf, aber ich mache es nicht zu so einem großen Ding und ich kompensiere es anders. Also ich beweise halt, dass ich trotz der Behinderung gute Noten schreiben kann, guten Job machen kann, eine Weltreise machen kann. Und das hat eben dazu geführt, dass ich jede Chance, jede kleinste Chance, die mir gegeben wurde, habe ich immer gedacht, okay, jetzt muss ich zeigen, dass das die richtige Entscheidung war.
Immer 200 Prozent geben
Lina-Maria Pietras [00:39:28]:
Und in meinen ersten zehn Jahren im Berufsleben war das wirklich anstrengend, weil, das habe ich erst später verstanden, ja ich war damals nicht so super schlau, ja also ich habe damals war ich da in dieser Maschinerie drin, habe gedacht, oh, wenn sie mir als Mensch mit Behinderung den Job, die Aufgabe, das Projekt, die Verantwortung geben, anstatt es einem zu geben, der keine Behinderung hat, weil ich ja immer dachte, die, die keine Behinderung haben, sind einmal viel besser für den Job. Totaler Bullshit, kann ich dir heute sagen, aber damals habe ich das so gedacht. Da habe ich gedacht, okay, dann muss ich jetzt 200 Prozent geben.
Falsche Dankbarkeit
Das waren meine ersten zehn Berufsjahre. Und ich habe so eine falsche Dankbarkeit entwickelt. Ich habe immer gesagt, oh danke, dass du mir eine Chance gibst und habe dann, bin ungefragt immer nicht eine Extrameile, sondern zehn Extrameilen gegangen und dachte, das ist ganz normal und selbstverständlich. Diese Überkompensation hat natürlich dann dazu geführt, dass ich auch unter anderem die Verbindung zu mir selber verloren habe.
Immer normal sein wollen
Und dann habe ich eben damit bezahlt, dass ich meinen ersten Burnout hatte und dann das zweite Mal in der Therapie war, weil die erste Therapie hatte ich Anfang der 20er, wo es eben darum ging, daran zu arbeiten, warum will ich denn immer normal sein. Ich wollte immer normal sein, diesen blöden Spruch, ich will normal sein. Meine Therapeutin damals war einfach normal. Es gibt nicht das normal. Aber das war in meinem Kopf drin. Und dann habe ich eben überkompensiert.
Die Phase der Akzeptanz
Und dann kam die dritte Phase, wo ich gedacht habe, okay, jetzt dachte ich, jetzt akzeptiere ich das. Und dann habe ich gesagt, okay, das kann ich und das kann ich nicht und was ist denn mein eigenes Bild? Alles schön, alles gut, aber trotzdem, dann habe ich akzeptiert, was meine Behinderung ist und gleichzeitig habe ich aber noch nicht mich als ganzen Menschen akzeptiert und dann schwubs, lag sie wieder auf dem Boden und war irgendwie immer noch nicht bei sich selber angekommen.
Und als ich dann Anfang 2018 den Deal mit mir selber geschlossen habe und gesagt habe, ey, du bist ein zweites Mal relativ unbeschadet aus einer psychisch sehr angespannten Situation herausgekommen, weil ich kenne Menschen, die viel länger gebraucht haben, aus dem Burnout herauszukommen, war relativ schnell wieder funktionsfähig, habe ich gesagt, okay, jetzt aber wirklich.
Wer bin ich? Was will ich sein? Auch mit meiner Behinderung. Und das war so eine spannende Phase, weil ganz viele Menschen immer zu mir sagen, bis heute sagen und damals sagten, Lina, für mich bist du nicht behindert. Nee, deine Behinderung, das ist doch wirklich ein Segen für dich. Da denke ich immer so, das ist auch das ist totaler Schwachsinn. Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber ich denke immer so, also warum sagst du zu mir, für mich hast du keine Behinderung. Doch, ich habe einen schwerbehinderten Ausweis. Ich bin zu 100 Prozent schwerbehindert. Da steht drauf, ich bin blind und hilflos.
Es ist okay, behindert zu sein
Lina-Maria Pietras [00:42:19]:
Dadurch kriege ich Blindengeld, ich kriege irgendwelche Steuerfreibeträge. Ich kann nur 4 % sehen. Ich bin behindert und das ist auch okay. Und das ist zum Beispiel etwas, was mich dann 2018, wie gesagt, habe ich angefangen, 2020, habe ich mich ja selbstständig gemacht mit Purpose Hub, dann habe ich auch den German Diversity Award verliehen bekommen in der Kategorie Disability (Behinderung) und dann ist das ganze Thema Diversity (Diversität), Equity (Gerechtigkeit), Inclusion (Inklusion), Belonging (Zugehörigkeit) hochgegangen. Da dachte ich so, oh Junge, jetzt kommt es endlich an bei den Menschen.
Andere Menschen haben mehr ein Problem damit
Und das ist wirklich was, wo ich heute immer versuche, auch für mit einzustehen, zu sagen, ihr hört doch, bitte, bitte, bitte, bitte, nehmt die Menschen doch so an, wie sie sind. Und das heißt bei mir, akzeptiert doch bitte, dass ich eine Behinderung habe. Was ist denn eigentlich so schlimm daran, dass ich damit kein Problem habe, aber andere schon? Dann frage ich und dann sind wir bei der Alltags-Situation. Dann frage ich im Supermarkt, ja Entschuldigung, können Sie mir helfen, ich suche das und das, weil ich bin Sehbehindert, sage ich, oh, es tut mir leid.
Lina-Maria Pietras [00:43:22]:
Es muss Ihnen nicht leidtun, da können Sie gar nichts für. Können Sie mir einfach nur helfen, das zu finden, ja? Oder in dem Aldi meines Vertrauens, zu dem ich immer gehe, sagt ein Mitarbeiter so, das musst du nicht immer sagen, ich erkenne dich wieder, sage ich so, ja, aber ich erkenne dich nicht wieder.
Lange war es schwierig für Lina Maria sich zu akzeptieren
Das ist dieses wirklich damit fein werden, das würde ich sagen, da bin ich heute und von allen meinen Quirks und Besonderheiten, würde ich sagen, weil ich glaube ich am längsten an dieser Beziehung von mir und meiner Behinderung gearbeitet habe, bin ich da mittlerweile wirklich auch so, dass ich sage, es kommt, ich kann mich gar nicht erinnern, wann es das letzte Mal vorkommen ist, dass ich wirklich gesagt habe, dass ich wirklich traurig war oder wütend war, weil ich etwas aufgrund meiner Behinderung nicht machen konnte.
Oder dass ich mir selber den Satz gesagt habe, ach, wenn ich sehen könnte, dann. Das war ein sehr sehr langer Teil meines Lebens. Und für mich selber war meine Behinderung auch ganz, ganz lange der Buhmann oder Schuld dafür, dass ich dann, wenn ich sehen könnte, dann aber weil es mir auch alle erzählt haben. Also du bist so sprachen gewandt, also wenn du sehen könntest, dann könntest du …. .
Einiges wurde ihr nicht zugetraut
Lina-Maria Pietras [00:44:38]:
Oder du bist so intelligent, wenn du sehen könntest, dann … . Also die haben es natürlich nicht so explizit gesagt, sei mir ehrlich, aber das ist das, was immer bei mir angekommen ist, auch von ganz nahen Menschen, wie meinem Vater zum Beispiel, der mir einfach nie zugetraut hat, meine Bankgeschäfte selber zu machen. Er hat gesagt, ja, es kann ja sein, dass du dich vertippst.
Mein Gott, ich habe erst vor vier Jahren angefangen und das Dank meines Mannes selber mich mal mit Online-Banking, mobilen Banking und allem auseinanderzusetzen und das mache ich heute alles alleine.
Gehindert sein in etwas
Und das ist halt eben dieses, wenn du sagst, gibt es Momente, wo das keine Rolle spielt? Ja, genau dann, wenn die Menschen mich sehen und nicht mich bewundern, also das gegen ihre Realität abgleichen. Also wirklich, dieser Satz, also für mich bist du nicht behindert. Da denke ich mir so, ja okay, aber wer ist denn für dich behindert? Ja, nee, wie meinst du das? Ja, nee, da sehe ich dann eher so Menschen, die in Werkstätten sind. Ach so, okay.
Lina-Maria Pietras [00:45:47]:
Aber Entschuldigung, Behinderung heißt einfach, du bist gehindert in irgendetwas. Und es gibt Menschen, die haben keine physische Behinderung, sind gleichzeitig aber leider so traumatisiert aus ihrer Kindheit, aus den Beziehungen, die sie früher hatten, mit denen möchte ich nicht tauschen. Die sind halt ganz anders, die haben eine andere Behinderung, ja, und die können sich leider keinen Ausweis dafür ausstellen lassen, kriegen keinen steuerfreien Betrag dafür, können nicht sich dieser Gruppe zuordnen.
Warum ist Behinderung so negativ besetzt?
Aber im Grunde genommen hindern wir Menschen uns ja auch so oft und selber durch unsere eigenen Gedanken. Und ich glaube, genau dann ist es das, wo es mich heute noch, wie gesagt, es macht mich nicht mehr traurig und auch nicht mehr wütend. Manchmal finde ich es anstrengend, wenn ich dann, ich mache es ja gerne, aber wenn ich dann immer wieder so sage, ja, also verstehe ich, aber was bedeutet denn Behinderung und warum ist er denn auch so negativ besetzt, so.
Manchmal finde ich es anstrengend so und dann denke ich mir so, möchte ich jetzt nicht darüber sprechen. Und dann denke ich mir schon, wäre schon cool, wenn ich nicht die Behinderung hätte, aber dann sage ich mir im nächsten Schritt, es hat ja überhaupt nichts mit der Behinderung zu tun, sondern es hat was damit zu tun, dass ich daran glaube,
Inklusion ist ein Grundrecht aller Menschen.
Neue Technologien nutzen
Lina-Maria Pietras [00:47:01]:
Hat was damit zu tun, dass ich glaube, dass wir jeder so einzigartig sind und dass wir jeder so ein tolles Potenzial haben, was wir entfalten können und deswegen kläre ich auf und deswegen möchte ich das machen. Und sonst, also ganz ehrlich, die Digitalisierung und auch künstliche Intelligenz, ich liebe diese beiden Technologien. Also als ich 2007 meine Diplomarbeit geschrieben habe, brauchte ich sechs Leute, die mir ihre Augen leihen, meine Diplomarbeit zu schreiben.
2016 habe ich meine Maßarbeit geschrieben, ich brauchte 0 eyes, da alles digital war, alles, jedes Buch, jeder Artikel, wir durften auch Podcasts aus Audiobooks zitieren und so. Das durftest du doch 2007 noch gar nicht. Wenn du aus dem Internet zitiert hast, musstest du diese Webseite runterladen, auf eine CD brennen und also, hallo?
Und das Gleiche mit der nächsten Welle, mit der künstlichen Intelligenz. Also ich arbeite seit über einem Jahr, nutze ich ChatGPT und setze mich auch immer mehr damit auseinander und es ist für mich, es hilft mir, es hilft mir, Sachen schneller zu lesen. Ich kann dem sagen, hier lese bitte mal dieses Dokument, lese diesen Artikel, fasse mir das zusammen, mich interessiert darin, steht darin was.
Die Möglichkeiten verändern sich durch neue Technologien
Lina-Maria Pietras [00:48:22]:
Dinge, die mich einfach extrem viel Zeit kosten haben, auch wenn ich es mir vorlesen lassen konnte. Ganz am Anfang, als ich zur Schule gegangen bin, musste ich alles unter das Lesegerät legen und vergrößern und selber legen. Dann konnte, hat man irgendwann, als ich mein erstes Studium hatte, hast du alle Unterlagen digital bekommen, dann konnte ich es mir vorlesen lassen.
Jetzt kann ich es, eine künstliche Intelligenz lesen lassen, mit meinem Auftrag und genau sagen, lies es mit dem Blick auf A, B und C und bitte sag mir noch was aus deiner Sicht die drei spannendsten Sachen waren. In fünf Minuten, dafür habe ich vorher zwei Stunden gebraucht. Deswegen ist das, das hatte ich auch am Anfang gesagt, als ich gesagt habe, Changemaker by Choice, auch dieser Umgang mit, wie verändert sich unser Leben durch Technologien.
AI-assisted Coaching macht Coaches nicht überflüssig
Ich glaube, ich bin sehr privilegiert, weil mein Leben ist nur besser geworden durch Technologien und deswegen kann ich da so angstfrei drauf gucken und auch wenn ich erst an Ostern im Familienkreis die Frage gestellt bekommen habe, ob AI-assisted Coaching, woran ich auch arbeite, ob ich mich damit nicht überflüssig mache, ganz entspannt, nee. Ich glaube der ganze Coaching-Markt und das ganze Coaching-Prozedere wird sich verändern und ich freue mich dabei, das mitzugestalten.
Immer wieder Hacks finden
Deswegen, irgendwie ist es immer da, weil ich ja eben mir die Anzeige von der Bahn abfotografiere, weil ich eben meinen Hack suche, von A nach B zu kommen. Ich habe am Ende mein Buch, was jetzt am 16.04.2024 erschienen ist, Herzauge, selber hab produzieren lassen als Hörbuch, weil es keinen Verlag gefunden hat für das Hörbuch. Und ich gesagt habe, ich kann nicht als blinder, sehbehinderter Mensch das Buch nicht als Hörbuch haben. Genau, deswegen gibt es Herzauge eben als Taschenbuch, als E-Book und hoffentlich jetzt ganz bald auch als Hörbuch.
Behinderung als Teil des Technical Briefings
Aber so ist das. Also heute ist es so, okay, da ist eine Grenze, die mir jemand gibt oder die jemand anderes mir gibt oder die eben da ist, weil du den visuellen Kortex dafür in klassischer Weise brauchst, dann ziehe ich mein Handy, dann frage ich einen Menschen, dann finde ich einen Weg. Und deswegen, so ist es natürlich Teil immer und gleichzeitig macht es genauso den Einfluss, oder hat es genauso viel Einfluss darauf.
Wenn ich einem Kunden von mir, der mich für ein Keynote gebucht hat, dann sage ich ihm, also ich brauche jemanden, der mein Shadow ist, also der mir seine Augen leiht, damit ich mich auf der Veranstaltung zurechtfinde und ich ernähre mich ketogen, bitte also keine Kohlenhydrate und ich trinke keinen Alkohol. Also stellt mir das nicht auf das Hotelzimmer. Und das sind einfach Sachen, die ich dann sage, die sind einfach Teil meines Technical Briefings.
Lina-Maria Pietras [00:51:25]:
Da ist das Thema, was ich esse, was ich trinke, was für mich wichtig ist vor einer Veranstaltung, welches Mikro ich brauche, wie ich zusammenarbeite, hat genau den gleichen Stellenwert, wie welche Anpassung es braucht in der Zusammenarbeit durch meine Behinderung.
Herzauge – Lina Maria Pietras Buch
Mechthild [00:51:43]:
Ja, danke dir. Du hast schon das mit dem Herzauge angesprochen, dein Buch. Da würde ich auch gerne noch ein paar Sätze von dir darüber hören, was das Buch ist und worum es in dem Buch geht, auch wie viel du vielleicht auf den Namen Herzauge gekommen bist und mit Blick auf die Zeit auch vielleicht in eine Phase setzen, damit wir da auch nicht zu lange die Leute überziehen. Aber ich freue mich natürlich, wie viel du jetzt auch schon mit uns geteilt hast. Und genau, das Buch, ich freue mich, dass du das Buch geschrieben hast.
Das Wort kommt aus dem kleinen Prinzen
Lina-Maria Pietras [00:52:19]:
Genau, ja, das kann ich auch wirklich in Kürze beantworten. Also wie bin ich auf Herzauge gekommen, habe ich die Brotkrumen schon gelegt, denn das kommt natürlich aus dem kleinen Prinzen. Das kommt daher, dass meine Mutter damals gesagt hat, vergiss nicht, was der Fuchs dem kleinen Prinzen gesagt hat, man sieht nur mit dem Herzen richtig gut, das Wesentliche ist für das Auge unsichtbar, du bist mit einem großen Herzen geboren, du wirst immer mehr sehen als andere.
Und das war mir nicht die ganze Zeit bewusst. Also das ist mir erst in den letzten Jahren so richtig präsent geworden. Dann habe ich auch noch ein paar mal den kleinen Prinzen gelesen. Das ist eins, was ich immer, wenn ich Klienten habe, aus dem Unternehmenskontext, also Vorstände, Geschäftsführer, sage ich immer, das beste Führungsbuch ist der kleine Prinz. Also das ist vor 80 Jahren geschrieben worden und es stellt genau unsere gesellschaftlichen menschlichen Herausforderungen dar.
Hinter die Fassaden gucken
Das ist es, also deswegen ist es das Herzauge, das Wahrnehmen, das eben hinter die Fassaden gucken. So bin ich auf den Namen Herzauge gekommen. Worin geht es in dem Buch? Also es ist ein wilder Ritt und eine spannende Achterbahn zwischen autobiografischen Anteilen von mir, die ich natürlich hereingebracht habe, weil ich finde, wir lernen am besten von Geschichten.
Storytelling finde ich sehr wichtig und mir haben halt immer auch Expertenmeinungen geholfen. Ich bin eine Hörbuch-Ratte, also wenn es eine Leseratte für Bücher geht, dann bin ich eine Hörratte. Und ich bin eine Hörbuch-Vernichtungsmaschine und ich lerne sehr viel durch Hören.
Und deswegen habe ich in den unterschiedlichen Kapiteln und Unterkapiteln, wo ich mich mit Themen auseinandersetze, wie Authentizität, Inklusion, Grenzen setzen, Werte, Mann-Selber-Sein, für sich einstehen, habe ich auch immer genau die Autorendenker und Ansätze mit hereingebracht, die mir geholfen haben.
Herzauge ist kein klassischer Ratgeber
Das heißt, es ist eben kein Ratgeber, also kein reiner Ratgeber, keine reine Autobiografie und auch kein reines Sachbuch. Ich habe alles rein in einen Mixer getan, einmal drauf gedrückt und rausgekommen ist ein faktenbasiertes, authentisches Angebot für Menschen mal eine andere Perspektive einzunehmen und auf sich und auf das eigene Umfeld anders zu gucken. Und eine ganz große Motivation von mir war, dass ich es so wichtig finde, dass man Bücher schreibt, wo die Menschen am Ende nicht das Gefühl haben, es geht ihnen schlechter als am Anfang. Und was ich damit meine, ist natürlich im Besonderen im Bereich Lebenshilfe, Ratgeber, Achtsamkeit, wo auch mein Buch eingeordnet ist, wo es auch hingehört, das ist auch korrekt so.
Den Lesenden ein gutes Gefühl geben
Lina-Maria Pietras [00:55:01]:
Da sind ganz viele Bücher geschrieben, die die Menschen ansprechen im Mangel, also wenn es ihnen nicht gut geht, wenn sie sich verloren und wenn sie das Buch fertig geschrieben haben, fühlen sie sich noch schlechter. Und das ist, das gibt so viel auf dem Coaching-Markt und das ist etwas, was mich wirklich sehr traurig und wütend gemacht hat, wo ich gesagt habe, nein, mein Buch, dein Coach.
Es gibt auch richtig gute Bücher von tollen Autorinnen, die so geschrieben sind, die ich auch selber gelesen habe, gesagt habe, genau so eins möchte ich auch schreiben. Ich möchte ein Schreiben, wo die Leute lachen, reflektieren, manchmal das Buch auch zwischendurch zumachen, sagen so, oh Lina, ja ich weiß, und dann vielleicht wieder aufmachen, es mehrfach in ihrem Leben lesen und danach aber das Gefühl haben, okay, ich bin so wie ich bin und so kann ich Sachen angehen und sich besser fühlen als am Anfang.
Mechthild [00:55:48]:
Das klingt gut. Und die Themen, die du angesprochen hast, sind ja auch viele, die wir jetzt schon im Podcast ein bisschen angerissen haben, wo wir dann noch mal ein bisschen mehr zu erfahren können, was deine Perspektiven dazu sind.
Lina-Maria Pietras [00:56:02]:
Genau.
Das Buch ist jetzt erschienen
Mechthild [00:56:02]:
Gut. Genau. Und das Buch ist ja jetzt dann schon erschienen, wenn die Podcast-Folge erscheint. Das heißt, der Link zu dem Buch ist auch in den Show Notes, da könnt ihr dann auch nochmal gucken. Und wir haben auch eine, vielleicht wenn ihr uns auf Instagram folgt, habt ihr vielleicht auch schon gesehen, dass wir das Buch ja auch schon verlosen auf Instagram und die Verlosung ist auch noch ein paar Tage offen, habe ich extra so eingestellt, damit ihr das auch noch, wenn ihr die Podcast-Folge jetzt hört, dann auch noch mal da gucken könnt auf Instagram und bei der Verlosung teilnehmen könnt, wenn ihr eines der Exemplare von dem Buch gewinnen wollt. Und sonst könnt ihr natürlich das auch im Buchhandel noch bestellen oder als Hörbuch dann hoffentlich auch. Es ist hoffentlich dann auch schon erschienen im Laufe der Zeit.
Lina Maria Pietras Selbsfürsorge-Praxis
Und dann die allerletzte Frage eigentlich ist, was so deine eigene Selbstfürsorge ist, die du so immer regelmäßig für dich machst, damit es dir gut geht in allem, was du so machst.
Lina-Maria Pietras [00:57:03]:
Kalt duschen.
Mechthild [00:57:06]:
Und morgens meditieren. Das hatten wir noch nie. Was war das andere? Jetzt habe ich dich unterbrochen.
Lina-Maria Pietras [00:57:10]:
Morgens meditieren. Also darüber haben wir ja schon gesprochen. Aber kalt duschen.
Mechthild [00:57:14]:
Interessant. Das wäre nichts für mich. Ich bin eher eine Warmduscherin.
Lina-Maria Pietras [00:57:18]:
Habe ich mir auch lange erzählt und dann habe ich mich überwunden und jetzt sage ich, ich muss mich auch jeden Tag überwinden, ehrlicherweise. Und gleichzeitig tut mir das super gut.
Mechthild [00:57:29]:
Das ist gut. Bei mir ist es auch wegen meiner Behinderung, weil die auch auf der Muskulatur ist und dann werde ich sehr verkrampft. Klar, das funktioniert. Aber vielleicht ist es auch eine Gewöhnungssache, aber es ist auch auf jeden Fall ein Teil.
Abschluss der Folge
Vielen Dank für deine Zeit. Hast du noch irgendwas, was ich jetzt nicht gefragt habe, wir haben jetzt schon viel auch erzählt, aber vielleicht gibt es noch irgendwas, wo du denkst, ah, möchte ich das jetzt noch fragen können, da will ich noch was zu sagen.
Lina-Maria Pietras [00:58:01]:
Nö, ich glaube wir haben mehr abgedeckt, als ich dachte, worüber wir sprechen.
Mechthild [00:58:05]:
Okay, das freut mich. Das ist gut. Genau, und wir haben in den Show Notes auch nochmal Lina Marias Webseite und Instagram und LinkedIn wahrscheinlich auch. Ich gucke mal, was ich von dir verlinken kann. Ich finde, du hast mir schon einiges geschickt. Und dann könnt ihr nochmal bei ihr gucken, was ihr vielleicht auch mal beim Purpose-Coaching mit Lina Maria machen könnt oder so oder ein Buch lesen. Genau, danke für deine Zeit Lina Maria und bis bald.
Lina-Maria Pietras [00:58:39]:
Dankeschön.
Mechthild [00:58:40]:
Tschüss.